Als Kolumbus Amerika entdeckte, brachte er große Reichtümer für die Königin Isabella mit. Aber die wertvollsten Schätze waren seine Karten, dank derer die Anderen das neu entdeckte Land weiter erkunden konnten.

Fraser Boa über Träume

 

Es ist ein gewisses Paradox, wie viel in der Weltgeschichte wir verschiedenen Arten von Dieben verdanken.

 

Die Sonne schien in mein Zimmer und weckte mich. Ich streckte mich genüsslich in Gedanken an einen weiteren wunderbaren Tag, der mir bevorstehen sollte. Auf zur Jagd? Ein Turnier? Stadtmusikanten, die ganz aus Bremen zu uns angereist waren? Oder ein Festessen mit Freunden? Und abends dann die kleine Adlige aus dem nahe gelegenen Schloss, die mir schon länger zu verstehen gibt, dass ihr an einem Treffen gelegen wäre? Es gäbe einiges an Auswahl – eins besser als das andere!

Ich war der einzige Sohn der Großen Königin und führte ein herrliches Leben in Erwartung der Krone. Ich hatte viele Interessen und abgesehen vom gewöhnlichen blasierten Leben bereitete ich mich auf die richtige Ausführung meiner zukünftigen Rolle vor. Alle sagten mir, ich würde ein guter König sein und der Staat unter meiner Herrschaft blühen. Wohl wahr, manchmal zeigte ich Anzeichen von Langeweile, aber sie wurden rasch von weiteren flüchtigen Affären hinweggefegt. Ich suchte im Leben immer neue Herausforderungen und bewährte mich dabei mit gutem Erfolg.

Meine Mutter liebte mich sehr, und nach dem Tode meines Vaters war ich für sie die Nummer Zwei – gleich nach der Politik. Zwar fing sie zuletzt immer häufiger davon an, dass unsere östlichen Ländereien bedroht seien und man die Bündnisse mithilfe meiner Heirat mit irgendeiner Tochter der damaligen Herrscher stärken sollte, wobei es ohnehin gut wäre, würde ich langsam etwas solider, ich aber wusste, am Ende würde ich sowieso das machen, was ich wollte. Und sogar wenn ich mich dem Willen meiner Mutter hätte beugen müssen, hätte dies keine größere Bedeutung, da es auf keinen Fall meinen Lebenswandel beeinflussen würde.

Hier könnte mein Märchen eigentlich zu Ende sein. Aber das Schicksal spielte mir einen Streich.

 

Alles fing damit an, dass ich einen Dichterwettbewerb zum Thema Liebe auf dem Schloss veranstaltete. Was eigentlich schrecklich langweilig war. Ich konnte die ganzen Vergleiche mit Blumen, Rosenblättern, Schmetterlingen, Beschreibungen von Herzflattern und schmachtvollen Seufzern nicht mehr hören. Es schien, alles würde wie immer enden, als ganz zum Schluss ein unscheinbarer Troubadour, noch dazu hässlich wie die Nacht,  über eine Prinzessin sang, die vielleicht weder besonders schön noch reich war, um deren Gunst jedoch aus unerklärlichen Gründen jedes Jahr Hunderte von Rittern warben. Es ging dabei wohl mehr um die Aufgabe, welche die Wagehälse erwartete, und die war in der Tat außergewöhnlich. Denn diejenigen, die sich entschlossen hatten von der Möglichkeit eines Rückziehers abzusehen, mussten unter Androhung des Todes erraten, was die Prinzessin in der Nacht geträumt hatte. Man sprach deshalb von ihr als der „Träumenden Schönheit“, und das Schloss wurde „Schloss der Träume“ genannt.

„Super“, dachte ich mir, „eine Aufgabe, wie für mich gemacht. Ich bin klug, gescheit und gut aussehend, verfüge über ein ansehnliches Wissen und noch mehr Glück. Ich sollte es versuchen.“ Darüber hinaus glaubte ich nicht daran, dass diese Massen einzig aufgrund einer reizvollen Aufgabe zur Prinzessin strömten. „Dahinter muss etwas deutlich Größeres stecken“, kombinierte ich, „geheimes Wissen, versteckter Reichtum, oder es ist doch etwas Besonderes dran an dieser Prinzessin.“ Ich hatte schon oft erlebt, dass sich hinter einem vielleicht nicht allzu schönen Äußerem andere, weit prächtigere Wunder verbargen. Am schlechtesten stand es um diese Träume. Ehrlich gesagt, hatte ich keinen blassen Schimmer davon. Ich hatte in meinem Leben vielleicht eine Handvoll Träume gehabt, wobei ich sie im Allgemeinen nicht für existentiell bedeutsam hielt.

„Ich werd’ das schon schaffen“, dachte ich. „Wer, wenn nicht ich!“

Meine Mutter hatte keine speziellen Einwände, da sie mit der Aushandlung eines wichtigen Vertrages zugange war, so dass ich mich nach einem vergnüglich zugebrachten Monat auf den weiten Weg begab.

 

Ich fuhr nachts, da einem tagsüber die Sonne in die Augen stach. Ich bin nicht ängstlich, aber die einsame Reise durch einen großen Urwald, wo mich von überall her seltsame, glänzende Augen anstarrten und unbestimmte Geräusche an mein Ohr drangen, war keine schlechte Herausforderung. Einmal sah ich früh morgens, wie eine kleine graue Eule sich in einer Schlinge verfangen hatte, die wohl für irgendein Tier ausgelegt worden war. Ich trat heran und befreite sie, aber sie flog nicht gleich fort, wie man es hätte erwarten können, sondern stand mir weiter gegenüber und heftete ihren aufmerksamen Blick auf mich, lustig von einem Bein aufs andere tretend.

„Brauchst du noch etwas?“ lachte ich sie an und reichte ihr auf meiner Handfläche einen Krumen Brot.

Sie nahm ihn und machte Anstalten loszufliegen, als sie sich plötzlich umdrehte, mir rasch in die Augen schaute, und ich das Gefühl bekam, sie übermittle kraft ihres Blickes Worte in meinen Kopf.

„Danke dir, Ritter, für deine Hilfe“, hörte ich, „ich bin nur eine kleine Eule, aber in der Dunkelheit der Nacht hört man von vielen seltsamen Dingen auf der Welt. Falls du mal nicht wissen solltest, wie angesichts eines Problems vorzugehen ist, so denke daran, dass es auf Erden verschiedene merkwürdige Städte gibt, in denen Menschen leben, die Berufe ausüben, von deren Existenz wir keinen blassen Schimmer haben. Solltest du einmal in Schwierigkeiten geraten, so rufe mich, ich werde dir zu Hilfe eilen.“

„Komisch“, dachte ich, „ich verstehe zwar nicht, was sie meint, aber es geschieht nicht jeden Tag, dass Vögel zu Menschen sprechen.“ Ich rieb mir die Augen, aber die Eule war schon verschwunden, und ich hätte nicht sagen können, ob ich für einen Moment eingenickt war oder ob es wirklich passiert war.

Ein anderes Mal stieß ich auf meiner Reise auf eine Ameisenstraße. Ich hielt das Pferd an, um sie nicht zu zertreten, und als sie vorüber gezogen waren, wandte sich die letzte Reihe an mich:

„Danke dir, Ritter, für deine Aufmerksamkeit gegenüber kleinen Geschöpfen. Wir sind zwar weder groß noch stark, wissen jedoch, dass in vielen Angelegenheiten Geduld die größte Tugend ist. Wi